Sommerlehrgang 2020 Shingitai Stuttgart

Von einer erhöhten Position ist ein Garten und dahinter eine Wiese zu sehen. Auf der Wiese sitzen eine Karateka (Sabine) in Richtung Kamera, ihr gegenüber fünf Karateka, im seiza (kniende Meditationsposition).

Seiza auf unserer Trainingswiese.

Bild: Petra

Das erste Augustwochenende 2020 verbringen wir bei Sabine im Garten. Freitag Nachmittag reisen wir an und bauen unsere Zelte auf. Danach fangen wir dann gleich mit der ersten Trainingseinheit an. Thema des Lehrgangs ist die Kata Seienchin, und die Achtsamkeit. Dazu schauen wir auch erst ein kurzes Video, den „Selective attention test,” mit dem uns aufgezeigt wird, wie viel man doch übersehen kann, wenn man sich auf etwas Spezifisches konzentriert. Im ersten Training konzentrieren wir uns erst einmal auf den Ablauf und merken, dass das mit den 45° gar nicht so einfach ist auf der Wiese. Langsam kriegen wir die Kata dann aber auf die Reihe. Mit einem Vesper und anschließendem Stockbrotbacken über der Feuerschale lassen wir den Abend nett ausklingen.

Von einer erhöhten Position ist ein Garten mit Obstbäumen zu sehen. Darin stehen vier Zelte.

Zelte im Garten

Bild: Petra

Der Samstagmorgen beginnt früh, denn um 7:45 Uhr ist schon der erste Programmpunkt verbucht: zazen-Meditation. Dazu sitzen wir aufrecht und etwas erhöht, konzentrieren uns auf die Bauchatmung und versuchen, nicht an Gedanken hängen zu bleiben, sondern sie zu- und dann loszulassen. Wobei „versuchen“ vielleicht das falsche Wort ist, denn gerade „wollen“ darf man nicht. Irgendwann komme aber auch ich zur Ruhe, und der Schlussgong kommt wie aus dem Nichts. Im Anschluss an die Meditation frühstücken wir alle gemeinsam im Garten. Trotz der frühen Uhrzeit ist es schon angenehm warm.

Nachdem wir nochmal geprüft haben, ob wir den Ablauf der Kata vom Vorabend noch im Gedächtnis haben, fokussiert sich das Vormittagstraining auf die Atmung. Seienchin entpuppt sich als eine sehr vielseitige Kata, in der sich ruhige, aber kraftvolle Bewegungen mit sehr dynamischen Impulsen abwechseln. Sabine zeigt uns, wie wir mit der richtigen Atmung immer schnell in die nächste Technik starten können und auch, wie wir die Atmung nutzen können, um die Verbindung zum Boden besser aufzubauen. Währenddessen schlägt der Hochsommer richtig zu, und nach der Trainingseinheit freuen wir uns über ein kühles (alkoholfreies) Bier und die Campingdusche, die im Garten aufgestellt wird.

Von einer erhöhten Position ist ein Garten mit Obstbäumen zu sehen. Darin stehen vier Zelte.

Im Nachmittagstraining geht es dann mit den Bunkai der Kata weiter. In der Kata Seienchin nutzt man den tiefen Schwerpunkt und guten Bodenkontakt des Shiko dachi und die 45°-Winkel für Hebel und Würfe. Dabei üben wir nebenbei auch immer noch die Atmung und die Achtsamkeit mit dem Trainingspartner. Im Anschluss meditieren wir wieder, was jetzt auch schon etwas besser klappt. Schließlich essen wir noch gemeinsam, gehen dann aber auch bald schon erschöpft, aber zufrieden, schlafen.

Der Sonntagmorgen beginnt wieder mit zazen-Meditation. Nach dem Frühstück wiederholen wir dann in der ersten Trainingseinheit den Ablauf und das Timing der Kata. Wir wiederholen auch die Bunkai, die wir am Samstag gelernt haben, und üben diese weiter ein.

Nach dem Mittagessen regnet es. Das Wetter war uns bisher sehr wohlgesonnen, und so sind wir darüber auch nicht böse. Zumal wir auf das Dojo ausweichen können, und dort auf den Matten noch richtig schön die Wurf-Bunkai üben können. Hier machen sich verschiedene Körpergrößen bemerkbar, aber auch, dass es für jeden und jede eine passende Bunkai gibt: Zum einen kann man den tiefen Shiko dachi nutzen, um den Schwerpunkt des Gegners zu unterwandern und den Gegner aus dem Gleichgewicht zu kriegen. Das bietet sich besonders an, wenn man kleiner oder gleich groß wie der Gegner ist. Die zweite Variante ist, in einem hohen Stand zu starten, sich an den Gegner ranzuklemmen und dann den Schwerpunkt abzusenken. Hier zeigt uns Sabine auch, wie wichtig es ist, bei Würfen die eigene Achse aufrecht zu behalten, weil man sonst schnell vom Werfenden zum Geworfenen wird. Wir merken auch wieder einmal erfreut, wie vielseitig Karate ist und, dass es eigentlich für jede Situation und jeden Körperbau eine gute Antwort gibt.

Wir beenden die letzte Trainingseinheit, indem wir noch ein paar Male die Kata laufen: achtsam, mit gutem Bodenkontakt, Rhythmus und Atmung. Das ganze Wochenende lang haben wir uns nur mit der Kata Seienchin befasst und unglaublich viel gelernt – aber sicherlich noch nicht alles! Der thematische Fokus des Lehrgangs auf „nur“ eine Kata war ein tolles Erlebnis: Nach der ersten Trainingseinheit konnten wir uns komplett auf die Konzepte konzentrieren, die uns die Kata Seienchin zeigt, und waren überhaupt nicht mehr mit dem Ablauf der Kata selbst beschäftigt.

Ein tolles und lehrreiches Wochenende in netter Gesellschaft ist vorbei. Auch der gesellige und kulinarische Aspekt ist nicht zu kurz gekommen. An dieser Stelle möchte ich mich noch ganz herzlich bei Sabine und Petra für ihre Gastfreundschaft bedanken!